EIN SPRACHLOS MACHENDES WELTERSCHÜTTERUNGS-BUCH🤍

Veröffentlicht am 23. Dezember 2021 um 11:53

Emmas Jahreshighlight: Was fehlt, wenn ich verschwunden bin

Es ist halb zwölf Uhr am letzten Schulmontagabend dieses Jahres und ich bin eigentlich total müde. Ich will schlafen, weil ich morgen eine angsterregende Mathearbeit schreibe, aber stattdessen sitze ich hier und hämmere auf die Tasten meines Laptops ein. Währenddessen heule ich so sehr, dass man meinen könnte, es würde regnen und im Dach wäre ein Loch, aber nein, dass meine Bettdecke klatschnass ist, liegt an meinem Heulanfall. Genauso der Taschentuchberg, der mich umgibt. Nein, ich habe keinen Liebeskummer – jedenfalls nicht auf Menschen bezogen – ich habe Buchendeliebeskummer wegen Lilly Lindners „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“.

„UND WENN DANN EIN NEUER FRÜHLING KOMMT, MIT EINEM NEUEN APRIL, DANN WERDE ICH DEINEN NAMEN FLÜSTERN. AN JEDEM TAG.“

Phoebe ist neun Jahre alt, als sie von ihrer über alles geliebten Schwester April - ihr großes Vorbild, ihre zweite Hälfte, die Person, die all ihre Worte versteht, Phoebes Ein und Alles -  getrennt wird, denn diese muss in eine Klinik. Warum? Wieso redet niemand mit ihr darüber? Warum darf sie sie nicht besuchen? Wann kommt April zurück?

Für Phoebe bricht die Welt zusammen. Also schreibt sie Briefe an ihre Schwester – herzzerreißende, ehrliche, wundertraurige, sanftmütige, wortgewaltige Schwesternbriefe. Schaffen es Phoebe und April, sich gegenseitig zu retten?

Das Besondere an diesem Buch ist die Wortgewalt. Denn davon ist so viel vorhanden, dass ich hier gerade total verzweifle, weil keine Worte mehr für mich übrig sind.

Phoebe und April sind beide solche Wortakrobatinnen, das ist einfach unglaublich. Teilweise hätte ich mir ganze Seiten markieren können, wenn ich das Buch besitzen würde und nicht nur ausgeliehen hätte. Die Art und Weise, wie April und Phoebe mit Sprache umgehen, wie sie mit Worten Bilder malen, wie sie Begriffe definieren ist einzigartig. Außerdem macht es das Buch zu etwas wirklich Besonderem, aus dem ich wahrscheinlich auch im Alltag noch ständig zitieren werde und das mein Verständnis für Sprache nochmal auf eine ganz andere Ebene gehoben hat.

Und obwohl „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ komplett in Briefform verfasst ist, lässt es sich superleicht lesen. Direkt mit ihrem ersten Brief hat mich Phoebe aus meiner Wirklichkeit in ihre Katapultiert und damit begonnen, mich Brief für Brief zu zerfetzen, zu flicken, aufzulösen, zu heilen, zu zerstören. Wow. Wie kann ein neunjähriges Mädchen so wortgewaltig sein? "Wortgewaltig" ist übrigens ein Wort, dass ich in dem Buch gelernt habe, und es beschreibt Phoebe einfach so treffend! Einerseits merkt man sehr deutlich, dass sie eben erst neun Jahre alt ist, aber dann gibt es immer wieder Stellen, an denen ich mir neben ihr so unlebenserfahren vorkomme, denn Phoebe ist eine verdammt weise Neunjährige.

Auch in April habe ich mich volle Pulle verliebt. Mit jeder Seite habe ich mit ihr mitgelitten, mit ihr gekämpft, mit ihr geweint, mit ihr Phoebe vermisst. April ist 16 Jahre alt und leidet an Magersucht und – verdammt – auch April ist absolut wortgewaltig. Ich liebe, wie die beiden Schwestern in Briefen ihre Geschichte erzählen.

Außerdem bin ich der Meinung, dass „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ auch für Eltern fast schon Pflichtlektüre ist. Das Buch spricht so wichtige Themen an und tut dies so einfühlsam und mitreißend, dass sich das NIEMAND entgehen lassen sollte, wenn ihr Lust auf eine große Runde Herzschmerz habt. Und viele der angesprochenen Themen haben auch mit April & Phoebes Eltern zu tun. Außerdem würde sich das Buch sicher prima als Schullektüre eignen! Es ist Gesellschaftskritik (sowas mögen Deutschlehrkräfte), spricht aktuelle und wichtige Themen für Jugendliche an (sowas mögen Deutschlehrkräfte) und ist schriftstellerisch so herausragend, dass man total viel interpretieren kann (sowas mögen Deutschlehrkräfte). Einziger Nachteil: Die ganze Klasse würde pausenlos heulen…

Denn geheult habe ich wegen „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“, so viel wie schon lang nicht mehr. Die Story ist so herzzerreißend und gleichzeitig so wunderschön, dass ich sowohl vor Traurigkeit als auch vor Rührung geheult habe als auch vor Lachen.

Zum Abschluss dieser sehr chaotischen und unstrukturierten Buchempfehlung darf ich bitten noch erwähnen, WIE WUNDERSCHÖN der Titel und das Cover sind?!?!?! Findet ihr doch auch, oder?

Wie ihr seht, hat mich „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ dermaßen vom Hocker gerissen, dass es mein Jahreshighlight 2021 ist. (Außer, ich lese in den übrigen 10 Tagen noch etwas Besseres). Ich denke schon den ganzen Dezember darüber nach, was denn mein Jahreshighlight ist, hatte eine engere Auswahl, konnte mich aber nie entscheiden. Tzja, Lilly Lindner hat mir diese Entscheidung jetzt abgenommen, daher: Congratulations, das Buch verdient es sooooooooooooooo sehr!


Autorin Lilly Lindner | 400 Seiten | Verlag: Fischer (Kinder- und Jugendtaschenbuch) | ISBN 978-3-7335-0040-5 | Alle Rechte am Cover liegen beim Verlag | Dieses Buch besteht den Bechdel-Test

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Kommentare

Johanna (she/her)
Vor 3 Jahr

Wooooow, Emma, was für eine geniale Rezi! Das Buch ist jetzt definitiv WEIT oben auf meiner Wunschliste.
PS: Danke, dass auch andere in der Schulzeit zu unvernünftigen Zeiten bloggen... Ups :) Aber ich mag die Atmosphäre von Blogs NACHTS so gerne, ich weiß auch nicht.

Valentina
Vor 3 Jahr

Das klingt echt toll! Deine Rezension hat mich jetzt dazu veranlasst, mir das Buch auch zu holen. Ich bin gespannt!
LG Valentina

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